Chaya Czernowin

*  7. Dezember 1957

von Hella Melkert

Essay

Chaya Czernowin wuchs über Abel Ehrlich, ihren ersten, aus Deutschland stammenden Lehrer, in die europäische Musiktradition hinein; sie fand ihre musikalische Sprache im Umfeld „autonomer“ neuer Musik, ohne sich an national-israelisch orientierte Strömungen anzulehnen (Kutschke 2002, 52). Schon früh war sie offen für Einflüsse von außen, z.B. für Gagaku-Musik, deren wie eine einzige Stimme wirkendes Ensemble sie faszinierte. Aus dem Dialog mit dem Fremden heraus eine eigene Identität zu finden, ist eine Konstante in Czernowins Leben und Schaffen geblieben. Einen wichtigen Impuls vermittelte auch der langsame Butō-Tanz von Kazuo Ōno, den sie 20jährig in Israel sah und dem sie im Streichsextett Dam sheon hachol [Das Stundenglas blutet noch] (1992; rev. 1999) bis zum scheinbaren Stillstand der musikalischen Zeit nachspürte.

Bereits in Ina für Bassflöte und sechs aufgezeichnete Flöten (1988/89) hatte Czernowin zu einer individuellen musikalischen Sprache gefunden, indem sie erstmalig die Kombination eines live gespielten Instruments mit zuvor aufgenommenen Tonspuren des gleichen Interpreten erprobte, um den für sie zentralen Begriff der „Identität“ zu untersuchen (Czernowin 2008a, 2): Die Solo-Bassflöte steht als Individuum ihren wechselnden Teilidentitäten gegenüber. Ein für Czernowins Komponieren grundlegender Ausgangspunkt, nämlich einzelne Parameter nicht unabhängig voneinander zu betrachten, sondern ...